Jahresbericht 2022

Liebe Leserin, lieber Leser,

Kurshalten in bewegten Zeiten – bezahlbares Wohnen heute und morgen

... und gestern? Als die Urzelle der Siedlungswerk Gruppe in der Wohnungsnot des Nachkriegsdeutschlands vor 75 Jahren gegründet wurde, war dies ein entschiedener Schritt von Bischof Leiprecht in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Entscheiden heißt (auch) verzichten. Kirchen-Neubau wurde hintenangestellt, Priester haben Gehalt abgetreten und Kirchengemeinden wie Kommunen suchten nach Flächen für dringend benötigten Wohnraum. Überall gab es Hemmnisse, die uns heute wieder überraschend aktuell vorkommen. Dabei hat die Bürokratie, Komplexität und Regulatorik hierzulande, in einem ungeahnten Maß nochmals unvergleichlich zugenommen. Vieles andere kommt uns bekannt vor: Zement rar und teuer – heute kommt noch die CO2 Problematik hinzu. Überhaupt ist Material schwer verfügbar – aktuell wieder ein großes Thema, nach Jahren der Corona Pandemie und vor allem dem Angriffskrieg durch Russland gegen die Ukraine. In der Folge unvorstellbares Leid und eben auch Zerstörung wichtiger Stahlwerke, nicht mehr verfügbare Lieferketten etc. und Auslöser einer Energiekrise, die die hohe Abhängigkeit des Bausektors von Gas und Öl aufzeigt. So gut wie kein Bereich ist ausgenommen. Angefangen von Abwasserrohren aus Kunststoff über Glas, Dämmung, Fliesen bis hin zum kammergetrockneten Bauholz. Zwar müssen die allgemeinen Baukosten wieder sinken; im Zuge höherer Standards und zunehmender Technisierung der Gebäude bleibt die Kostensituation angespannt. Die Materialknappheit unterscheidet sich nicht wesentlich von der Situation nach dem 2. Weltkrieg. Allein die Arbeitskraft war in den 50er Jahren reichlich vorhanden und erschwinglich. Auf der anderen Seite konnten sich die Männer vom Bau selbst keine hohen Ansprüche ans Wohnen leisten. Oft waren es daher mutige Frauen und Männer, als »Trümmerfrauen« und Bauhelfer, die vor Ort anpackten und im Sinne von Subsidiarität, Personalität und Solidarität (»die Prinzipien katholischer Soziallehre«) sich selbst darum kümmerten, soziales Wohnen zu ermöglichen.

Etwas vereinfacht betrachtet hat sich in den folgenden Jahrzehnten die Wohnungsfrage für viele – und an nicht wenigen Standorten – entspannt. Allerdings sind strukturelle Probleme geblieben. Stichworte sind gepflegte Vorstadtidylle versus Agglomerationen in der »sozialen Stadt«. Der wirtschaftliche Aufschwung und einsetzende Wohlstand hat bis zur Jahrausendwende sogar die These genährt, »Deutschland ist fertig gebaut«. Eine fundamentale Fehleinschätzung der Bedarfe und strukturellen Herausforderungen. Nach wie vor ist die Wohneigentumsquote für Deutschland als reiches Land in Europa beschämend niedrig. Öffentlich geförderte, mithin im Mietpreis gebundene Wohnungen (»Sozialwohnungen«) wurden in den Nuller Jahren nicht mehr ausreichend gefördert und mithin auch nicht gebaut, sondern von der öffentlichen Hand wie zum Beispiel Rentenversicherungsträgern oder Kommunen als »asset« an den Finanzmärkten kapitalisiert. Heute hat sich das Blatt gewandelt und jede Kommune ist froh, wenn Sie gemeinwohlorientierte Wohnungsgesellschaften als Partner hat.

Das Siedlungswerk hat sich in allen Wellenbewegungen der deutschen Wohnungspolitik gegen den Zeitgeist gestemmt. Mit der Leitidee »sozial gemischte Quartiere und Hausgemeinschaften« wurde der Gründungsgedanke zeitgemäß weiterentwickelt und damit ein wesentlicher Beitrag für die Balance einer angemessenen Wohnraumversorgung geleistet.

Kurs halten im Jubiläumsjahr – in bewegten Zeiten, das ist eine große Herausforderung. Mit dem steilen Zinsanstieg innerhalb weniger Monate sehen wir neben den ohnehin herausfordernden Rahmenbedingungen eine disruptive Veränderung, die wieder grundsätzliche Fragen des Bauens – aber Wie – aufwirft. Wir brauchen wieder mutige Entscheidungen vor Ort, aber auch den Mut zu grundsätzlichen Veränderungen, damit wir nicht in eine gesellschaftliche Gentrifizierung beim Wohnen rutschen.

Die Geschäftsführung des Siedlungswerks
Ina Ramsauer, Jürgen Schilbach, Norbert Tobisch und Christoph Welz

Im Namen unserer Gesellschafter, Gremien, Geschäftsführung und aller Mitarbeitenden möchten wir uns für Ihr Interesse bedanken.

Wir wünschen Ihnen interessante Einblicke und eine gute Lektüre.